Sich nicht an vorgegebene Formen anpassen

Studie über die Religiosität allein lebender Frauen

Singlefrauen sind religiös ansprechbar und praktizieren ihre Religiosität in vielfältigen Formen. In das Leben einer Pfarrgemeinde aber lassen sie sich nur schwer integrieren. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung an der theologischen Fakultät der Universität Bochum. Annegret Reese, die Autorin der Studie, hat allein stehende Frauen zwischen 37 und 43 Jahren aus ihrem Leben erzählen lassen und sie unter anderem gefragt, wie sie Krisensituationen bewältigen und Festtage gestalten. "Es ging mir darum, herauszufinden, welche Traditionen, Lebensgestaltungen und Deutungsmuster die Frauen innerhalb ihrer Lebensgeschichte erlebt und mit deren Hilfe sie die privaten und negativen Seiten des Alltags bewältigt haben", sagt Reese.

Bei allen Frauen, ob katholisch, evangelisch oder konfessionslos, stellte sie fest, dass religiöse oder quasi-religiöse Ausdrucksformen in ihrem Alltag eine Rolle spielen. So pflegen sie regelmäßig Meditationen in ihrer Wohnung oder halten Zwiesprache mit Gott bei Spaziergängen in der Natur. Sie diskutieren religiöse Fragen mit Freundinnen oder Freunden und besuchen auch Kirchenräume, um dort zur Selbstbesinnung zu kommen. Und sie gestalten schon mal das Weihnachtsfest ganz liebevoll für sich allein.

Singlefrauen leben in der Regel keineswegs isoliert, sondern fühlen sich in einem Netz von Freundschaften getragen, begleitet und gestützt. Trotzdem müssen sie mit ihrem Leben allein zurecht kommen und sind in den meisten Dingen auf ihre eigene Initiative angewiesen. "Die Frauen haben einen starken eigenen Gestaltungswillen", sagt Reese, "sie wollen selbst aktiv sein und sich nicht an vorgegebene Formen anpassen." Da kann es dann sein, dass sie auch unterschiedliche Elemente christlicher, buddhistischer oder anderer Religionen nebeneinander praktizieren, beispielsweise heute einen christlichen Gottesdienst besuchen und morgen eine buddhistische Meditation.

Zur Kirche als religiöser Institution haben die befragten Frauen ein eher gestörtes Verhältnis. Entweder sind sie, wie die Frauen aus Ostdeutschland, die Reese befragt hat, ohne Kirche aufgewachsen, oder sie haben sich aus unterschiedlichen Gründen von ihr abgewandt. Wieder andere finden in der Gemeinde vor Ort keine für sie passenden Angebote. "Singlefrauen fällt es schwer, sich in den heutigen Gemeinden zu beheimaten", erklärt Reese, weil das Angebot dort meist auf Familien ausgerichtet ist. Dabei nimmt die Zahl der Singlehaushalte, vor allem in Großstädten, immer mehr zu. Waren es 1950 noch 19 Prozent, so sind es heute über 35 Prozent aller Haushalte, die nur aus einer Person bestehen. Reese nennt die Singles eine "Grundfigur der heutigen Moderne", die besonders typisch ist für hochgradig individualisierte Gesellschaften.

Die christlichen Gemeinden müssten sich mehr auf diese Gruppe einstellen, fordert die Verfasserin der Studie, die jetzt am Fachbereich katholische Theologie/Religionspädagogik der Universität Essen-Duisburg arbeitet. Sie sollten "spirituelle Orte bereit stellen, an denen die Frauen selbst gestalterisch aktiv werden können", etwa Meditationen, Frühschicht oder Kon-zerte. Es sollten Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen die Singlefrauen auf Gleichgesinnte treffen oder wo verschiedene Generationen und Menschen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten sich untereinander austauschen können. Wichtig seien aber auch pastorale Angebote, in denen Wissen vermittelt wird, um die vielfältigen religiösen Antworten auf die Frage nach dem Sinn besser unterscheiden zu lernen.



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